Familienbande krass
Familienbande – ein Wort wie eine Kippfigur. Es kann herzliches Miteinander meinen. Aber auch eine feindselig verstrickte Schar ehemals Liebender. Irrationales, manchmal auch kriminelles Handeln nach leidvoller Trennung und erbitterter Streit um die Kinder verleihen dem Wort „Familienbande“ einen doppelten Boden.
Hautnah erleben Leserinnen und Leser, wie einstige Partner nun zwangsvereint in einem Käfig voller Konflikte aus eigener Kraft nicht mehr entkommen können, wie Eltern ihre geliebten Kinder quälen, wie die gemeinsame Immobilie zur Armutsfalle wird, wie Existenzen zerstört und das Leben zum Albtraum wird. Ungeschönt wird dargestellt, wie Streithähne schließlich auf Hilfe von außen angewiesen sind. Ämter und Gerichte sollen oder wollen eingreifen. Auch psychologische Gutachter spielen dann eine Rolle. Sie sollen zuweilen irren, werden aber auch als "heimliche Richter" bezeichnet, weil ihr Wort bei Gericht hoch im Kurs stehen soll.
In jeder der zehn Geschichten ist zu verfolgen, wie der psychologische Gutachter Dr. Rother mit den Konfliktparteien umgeht, wie er die Mixtur aus Hass und Gewalt, aus Lüge, Wahn und Narzissmus, aus Kindesmisshandlung, sexuellem Missbrauch und Missbrauchsverdacht beurteilt und welche Lösungen er vorschlägt. Was läuft aus dem Ruder und warum? Was ist vermeidbar? Die Geschichten enthalten Antworten.
Ein Buch, das betroffenen Familien Mut macht und zeigt, dass sie mit ihren Problemen nicht alleine sind.
- Unheil statt Heilung
- Was ist eine Akzentuierte Persönlichkeit?
- Wenn Liebe kippt: Häusliche Gewalt
- Orgonstrahler?
- Leseprobe
- Herzschmerzen
- Drei Generationen im Zwang
- Der späte Schrei
- „Weiß nicht“ sagt das Kind
- Sexueller Missbrauch von Kindern
- Sexueller Missbrauch im Gesetz
- Warum Missbrauch?
- Die Folgen von Missbrauch
- Polygrafie – was kann der Lügendetektor?
- Leseprobe
- Kein Appetit
- Im Kaufrausch
- Das verborgene Wort
- Skandal im Dorf
- Heilung oder Irrtum? Oder: Narziss in der Gondel
Unheil statt Heilung
Ein Vater will gegen den Widerstand der Ärzte und des Gerichts seine geliebte, an Krebs erkrankte Tochter mit Rutendiagnostik, Algenpillen und Silberwasser heilen und schreibt dann ihren Tod dem gerichtspsychologischen Gutachter zu.
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Was ist eine Akzentuierte Persönlichkeit?
Der Gutachter Dr. Rother tut sich schwer mit der schillernden Persönlichkeit von Apel. Wahn, Depression, querulalatorische und paranoide Tendenzen – all das erwägt er. Schließlich entscheidet er sich für etwas, das etwas weniger nach „schwer krank“ klingt, für die Diagnose Akzentuierte Persönlichkeit fest. Was ist das?
Wenn problematische bzw. auffällige Persönlichkeitsmerkmale stark ausgeprägt sind, aber noch nicht als krankhaft bezeichnet werden können, liegt eine Persönlichkeitsakzentuierung vor. Sie bewegt sich zwischen Normalität und echter Persönlichkeitsstörung. Manche sprechen von „Persönlichkeitsstörung light“. Sie kann einen Menschen vor allem in Stresssituationen oder Krisen aus der Bahn werfen, d. h. das Alltagsleben und die Beziehung zu anderen Menschen komplizieren.
Beispiele für Persönlichkeitsakzentuierung sind paranoide, selbstunsichere, hysterische oder zwanghafte Auffälligkeiten. Suche aus, was zutreffen könnte.
Lisa Zellhofer https://praxis-zellhofer.at
Wenn Liebe kippt: Häusliche Gewalt
Es gehört zu den bittersten Schattenseiten von Partnerschaft: Wo Nähe, Geborgenheit und Liebe erwartet und gesucht wird, kann das Gegenteil passieren, nämlich häusliche Gewalt. Sie hat viele Gesichter. Körperliche incl. sexuelle Übergriffe, Beleidigung als Gewohnheit, Manipulation, Machtmissbrauch, wirtschaftliche Gewalt. Es kann während der Partnerschaft oder auch nach deren Ende stattfinden. Stalking ist keine Seltenheit.
Während es in Bezug auf das Geschlecht deutliche Unterschiede gibt (Frauen sind häufiger betroffen als Männer), gibt es kaum Unterschiede in Bezug auf Milieu oder Bildungsniveau oder Wohnort. Partnerschaftsgewalt unterscheidet nicht zwischen Akademikern und Ungelernten. Sie findet statt in der Stadtvilla wie im Hinterhof. Warum?
Weil überall Lebensereignisse mit Stress verbunden sein und Konflikte erzeugen können, zum Beispiel Schwangerschaft und Geburt eines Kindes, Zusammenziehen in eine Wohnung, Krankheit, finanzielle Sorgen, derbe Enttäuschungen und natürlich der Entschluss zur Trennung. Aber auch Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen zum Nachteil von Frauen und die negative Vorbildwirkung von Partnerschaftsgewalt in der Herkunftsfamilie zählen zu den Ursachen.
Zu den Folgen häuslicher Gewalt gehören nicht nur körperliche Verletzungen sondern auch psychische Traumata. Lebensperspektiven werden eingeschränkt. Und zu den traurigsten Statistiken zählt die Anzahl tödlicher Ausgänge.
Besonders bitter sind die schlimmen Folgen für Kinder. Sie sind fast immer mit betroffen, auch wenn sie nicht direkt Ziel von Gewalt sind, sondern Gewalt zwischen Bezugspersonen miterleben. Und das macht etwas mit ihnen: Nicht nur Schlafstörungen, Ängste, Schulprobleme, Verhaltensauffälligkeiten oder Rückzug gehören zu den Folgen, Kindeswohlgefährdung inbegriffen. Oft entstehen auch Schuldgefühle („Mama und Papa streiten sich wegen mir)“. Und letztlich gibt es auch einen Lerneffekt. Wer als Kind Gewalt von Bezugspersonen erlebt hat, hält später mit größerer Wahrscheinlichkeit solche Verhaltensweisen für normal – ein Kreislauf zwischen den Generationen .
Auch Uta Apel wird von ihrem Mann geschlagen und gedemütigt. Von außen fragt man sich schnell: „Warum geht sie nicht einfach?“ Sie bleibt – wie viele andere auch. Gründe dafür gibt es genug: Angst oder Scham führt oft zum Schweigen. Die gemeinsamen Kinder oder finanzielle Abhängigkeiten spielen eine Rolle. Außerdem folgt auf die Gewalt oft eine Phase der Entschuldigung, der Reue, manchmal sogar Geschenke und Zärtlichkeiten. Dieser Wechsel hält die Hoffnung am Leben – und den Gewaltkreislauf am Laufen. Da niemand etwas davon erfährt, wird außerdem die Dunkelziffer gefüttert – eine Ziffer, von der wir nur wissen, dass sie erheblich ist.
Richtig ist aber auch, dass es Auswege gibt – diverse Hilfsangebote, Notrufnummern, Beratungsstellen, Frauenhäuser. Und jeder von uns kann in die Situation kommen, zu Auswegen beizutragen. Ständig blaue Flecken zu sehen und Ausreden zu hören („an der Tür gestoßen“), kann Anlass sein, hinzusehen statt wegzusehen und nachzufragen, ohne aber übergriffig zu werden. Wem es gelingt, Empathie und Verbundenheit zu vermitteln und auch zuzuhören, ohne zu drängen oder zu urteilen, wer falsche Ratschläge vermeidet („an deiner Stelle hätte ich mich schon lange getrennt“), kann Hoffnung wecken und vielleicht den ersten Schritt in Richtung Hilfe erleichtern.
Wichtige Hilfsangebote in Deutschland
- Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“: 08000 116 016 (kostenlos, 24/7, mehrsprachig, anonym)
- Hilfetelefon „Gewalt an Männern“: 0800 123 99 00 (kostenlos, anonym, Beratung für Betroffene und Angehörige)
- Polizei-Notruf: 110 – bei akuter Gefahr
- Online-Infos und Unterstützung: www.hilfetelefon.de
Apel traktiert seine Familie nicht nur mit Rutendiagnostik, Silberwasser und diversen Lebensfeldstabilisatoren, sondern auch mit einem Organstrahler. Aus ihm soll – man kann es sich denken – Orgon entströmen. Das wird als kosmische Kraft, als masselose, allgegenwärtige Substanz beschrieben. Man soll sie sich als dem Äther ähnlich vorstellen. Sehen kann man sie nicht, aber sie hat es in sich. Sie soll Lebensenergie spenden und vor negativen Energien schützen, physisches und mentales Wohlbefinden steigern, innere Kraft und Stärke verleihen, Glück und Freude fördern und auch die Konzentrationsfähigkeit. Das Ganze wurde entwickelt von Wilhelm Reich, immerhin einem Schüler von Sigmund Freud.
Naturwissenschaften und auch Medizin betrachten das Ganze als ein pseudowissenschaftliches Konzept ohne empirischen Nachweis. Einstein hat sich nach anfänglichem Interesse distanziert.
Aber niemand muss verzagen. Es gibt nach wie vor Bauanleitungen, Arbeitsbücher und sogar Orgonshops. Und es gibt den Placeboeffekt. Ruhe und Entspannung am Gerät, ein bisschen Glaube, etwas Hoffnung, und die menschliche Ur-Sehnsucht nach unsichtbaren und geheimnisvollen Kräften schnappt ein. So hat Wilhelm Reich doch noch Erfolg, auch wenn ganz anders als gemeint.
https://www.psiram.com/de/images/2/26/Orgonstrahler01.jpg
Missbrauchsverdacht ist nicht Missbrauch 1
Franzi hatte also gelogen. Aber das war lange unklar. Zunächst stand der Gutachter Dr. Rother vor einer grundsätzlichen Frage: War das Mädchen vor weiterem Missbrauch zu schützen? Oder war der Vater, Jonas Schramm, davor zu bewahren ist, unschuldig zum Täter gestempelt zu werden. Immer ist sowohl die Möglichkeit des berechtigten Vorwurfs als auch der Falschbezichtigung gegeben. Rother gehört zu jenen Gutachtern, denen beides gleich wichtig war. Als mögliches Beweismittel stand allein die Aussage von Franzi zur Verfügung. Kinder in ihrem Alter können sich meist gut an erlebte Vorkommnisse erinnern und können Suggestionen hinreichend widerstehen. Überhaupt ist es meist erlebnisfundiert, wenn Kinder von Missbrauch berichten, aber nicht immer.
Dr. Rother als Spezialist für Aussagepsychologie hatte seine Methoden, um aufzuklären, ob Franzi erlitten hatte, was sie behauptet hat. Dabei stieß er auf das, was bei unklaren Missbrauchsfällen in Familiengerichtsverfahren leider kein Einzelfall ist: ein Gewirr aus komplizierten Beziehungen, Loyalitäten und unterschwelligen Machtspielen.
Franzi lebte mit ihrer Mutter und deren neuer Partnerin Jasmin Bender. Die beiden wollten den Vater aus Franzis Leben drängen. Jasmin streute Verdächte und Suggestionen, die später zu Vorwürfen wurden, und die Mutter schaute still zu.
Die Zehnjährige war mit ihren eigenen Bedürfnissen in dieser Wirrnis gefangen und geriet in Not. Sie wollte die Erwartungen der beiden Frauen nicht enttäuschen. Sie waren ihre Hauptbezugspersonen, der Vater war weg. Abhängigkeit und Loyalitätsdruck waren ihr Alltag. Sie übernahm die Geschichten, die man ihr zuschob – denn sie brachten Zuwendung und verringerten den Stress. Zumindest für den Moment.
Dr. Rothers Ehrgeiz bestand nicht darin herauszufinden, wie und wann die beiden Frauen das Kind zu einer Falschaussage motiviert hatten, wie sie den "Missbrauch des Missbrauchs" realisiert hatten. Bekannt ist, dass Kinder oft mit Aufmerksamkeit und Wohlwollen belohnt werden, wenn sie den Suggestionen und Erwartungen von Bezugspersonen folgen. Das befriedigt emotionale und soziale Bedürfnisse, ein Lerneffekt tritt ein. Die Vorgabe wird als unwahr erkannt, aber doch übernommen. Kompliziert wird es, wenn es nicht mehr gelingt, die vorherige Lüge zuverlässig von der eigentlichen Erinnerung zu trennen. Die Falschbehauptung wird schließlich für wahr gehalten.
Wie sehr sich solche Suggestionen durchsetzen und Falschaussagen produzieren, hängt von der Beeinflussbarkeit eines Kindes, diese wiederum vom Alter bzw. Entwicklungsstand, von der Bedürfnislage ab. Verstärkend wirken sich so außergewöhnlich belastende Bedingungen aus, wie sie Franzi ausgesetzt war.
Nur wenig beruhigend ist dabei, dass der Schwerpunkt falscher Missbrauchsvorwürfe weniger auf gezieltem Lügen liegt, sondern mehr auf irrtümlichen Falschbeschuldigungen liegt. Wer tiefer in diese Abgründe schauen möchte, sollte die entsprechende Fußnote zur Geschichte „Das verborgene Wort“ lesen.
Drei Generationen im Zwang
Soll das Kleinkind Laura bei ihrer psychisch labilen, zeitweise obdachlosen Mutter oder bei den Großeltern wohnen? Oder ist der Mutter noch zu helfen? Sind die Großeltern wirklich zu alt? Der Gutachter greift ein.
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Innere Gefangenschaft durch Zwangskrankheit
Was mit Zwang verbunden ist, birgt meist nichts Gutes (Zwangsgeld, Zwangsheirat). Nicht anders ist es mit Zwangsstörung oder Zwangserkrankung. In der Geschichte Drei Generationen im Zwang beklagt Leonie Dietze-Sor, wie lästig ihr die stereotyp wiederholten Schrittkombinationen und Körpergesten, die Rituale beim Waschen und Überschreiten von Türschwellen sind, wie auch ihr Denken in starren Bahnen verläuft. Sie beschreibt auch, wie sie vergebens dagegen angeht („Ich kämpfe dagegen. Ich finde aber nur so mein Gleichgewicht wieder“). Damit sind auch schon wesentliche Merkmale der Zwangskrankheit beschrieben: Sie ist eine tragische Kombination aus Zwangshandeln und Zwangsdenken. Zwangskranke wissen, dass ihre Aktionen exzessiv sind. Sie leiden darunter, aber sie fühlen sich machtlos. Es lässt sich nicht stoppen, wie nachteilig auch die Folgen sind. Deshalb ist das Suchen nach Schuld überwiegend sinnfrei.
Da sich nach jeder Aktion Angst und Unruhe kurz mindern, dann aber schnell zurückkehren, entsteht ein Teufelskreis mit immer mehr Raum für Zwänge.
Zwangsgedanken sind sich aufdrängende, unerwünschte Denkinhalte, die sich nicht unterdrücken lassen. Sie nehmen vielfältige Gestalt an, z. B. als Gedankenkreisen und Grübelzwang, als Zählzwang, als starre Angst, dass einer geliebten Person etwas Schlimmes zustoßen könnte, als hartnäckige Befürchtung, entgegen dem eigenen Wesen aggressiv oder sexuell verwerflich zu handeln. Da es um Kreisläufe geht, wird kein erträglicher Abschluss gefunden, kein genehmes Ergebnis erreicht. Gedanken werden zu Fesseln und quälen.
Zwangshandlungen sind stereotype Aktionen, die ständig wiederholt werden müssen. Nach solchen Handlungen nehmen Angst und Anspannung für kurze Zeit ab, Illusion von Kontrolle entsteht. Doch kommt auf Dauer keine Freude auf und der Weg zur Wiederholung öffnet sich. Es kommt zu Ritualen in exakt gleichen Abläufen und nach genauen Regeln. Der Versuch der Gegenwehr mündet in Angst und Anspannung. Auch hier verwundert die Vielfalt der Erscheinungsweisen: Waschzwang (Händewaschen), Ordnungszwang (präzise, z. B. symmetrische, Anordnung von Dingen), Kontrollzwang (zähes Überprüfen von Türschlössern oder Wasserhähnen), Zählzwang, verbissene Schrittkombinationen auf dem Fußweg, ständiges Wiederholen von Wortkombinationen oder Liedern.
Bei einer Zwangsstörung geht es nicht um kleine Marotten oder simpel-hartnäckige Gedanken oder spleenige Ideen. Es geht nicht um die lästige, aber harmlose Angewohnheit, immer wieder zu überprüfen, ob die Haustür abgeschlossen ist. Es geht vielmehr um eine ernstzunehmende psychische Erkrankung mit Leidensdruck, Unkontrollierbarkeit und Einschränkung des Lebensalltags. Aber sie ist behandelbar durch Psychotherapie und mithilfe von Medikamenten, die den Serotoninstoffwechsel regeln.
Wahres über Lügen
Es ist schon eine derbe Lüge, die die 14-jährige Kerstin erzeugt und durchzieht. Sie hat negative Folgen für alle Beteiligten.
Allgemein gilt als Lüge eine absichtliche, wahrheitswidrige Darstellung, die gegeben wird, als ob es eine wahrheitsgemäße Darstellung wäre, und ohne das Einverständnis des Berichtsempfängers zum Getäuschtwerden. Aber die Lüge ist nicht von einheitlicher Gestalt, sondern hat erstaunlich viele Varianten von fürsorglich über gefällig bis destruktiv reichen.
Alles beginnt mit der sozialfreundlichen Höflichkeitslüge. Schon ein dreijähriges Kind sagt „Ja“, wenn es nach einer Geburtstagsfeier in einem fremden Haushalt gefragt wird, ob der Kuchen geschmeckt hat, auch wenn er trocken und geschmackarm war. Und auch später helfen kleine Unwahrheiten, Beziehungen zu pflegen und Konflikte zu vermeiden („ich freue mich total, dich zu sehen.“) Insofern wäre eine Welt ohne Lügen unbequem. Man kann auch gefährlich ehrlich sein.
Nachsichtiger urteilen wir, wenn es um eine spontane, meist kleinere Lüge, die Notlüge geht. Sie wird genutzt, wenn Peinlichkeiten oder unnütze Konflikte vermieden werden sollen. Sie ist insofern geeignet, soziale Harmonie zu sichern. Außerdem ist sie ein Mittel, um intime Informationen zu schützen (Selbstschutz).
Nicht weit entfernt davon sind Angstlügen. Wenn es gilt, drohende Gefahren abzuwenden für den eigenen Ruf, für den sozialen Status, für die Sicherheit und drohende Konsequenzen, z. B. Strafen, abzuwenden, sind sie ein beliebtes Mittel. Sie sind insofern meist egoistisch und für die eigene Reputation wichtig.
Vollends auf der dunklen Seite der Lüge befinden wir uns, wenn es um Zwecklügen geht. Sie sind strategisch angelegt, um andere zu übervorteilen oder zu schädigen oder unberechtigt etwas zu gewinnen. Hier ist die Lüge von Kerstin in der Geschichte „Der späte Schrei“ einzuordnen, die damit erreichen will, ihren Lebensmittelpunkt vom Vater zur Mutter zu verlagern.
Lügen haben in jeder Art menschlicher Konfliktaustragung ihren Platz, aber auch als Sprache der Macht in der politischen Rhetorik, in professionellen Manipulationen und in Werbeslogans.
Eher traurig ist die pathologische Lüge (Pseudologia phantastica). Hier wird zwanghaft und massiv Fantasie und Realität vermischt. Im Hintergrund stehen oft defizitäres Selbstwertgefühl und eine Neigung zur narzisstischen Selbstdarstellung.
Ob man auch die Selbsttäuschung zu den Lügen zählen will, ist Geschmackssache, denn sie geschieht meist unbewusst. Wir schützen unser Selbstbild. indem wir Misserfolge umdefinieren („Ich war gar nicht daran (an ihr, an ihm) interessiert.“) Das Leben wird so erträglicher.
Lügen gehört insofern zum Inventar und zum Grundplan menschlichen Handelns. Wir lügen, weil wir fühlen und Bedürfnisse haben. Aber Lügen ist anstrengend. Man laviert mit Echtem und Erfundenem. Man braucht ein gutes Gedächtnis, um sich beides zu merken und auseinanderzuhalten. Und man muss fähig sein, dass Erfundene glaubhaft zu präsentieren.
Das gelingt Menschen sehr unterschiedlich. Es hängt ab von äußeren Bedingungen und von Persönlichkeitseigenschaften.
In den äußeren Bedingungen ist eine Reihe von Lügenbeschleunigern angelegt. Macht und höherer Status verleiten dazu, öfter zu lügen, weil mehr Gelegenheiten gegeben sind und weil weniger negative Konsequenzen zu fürchten sind.
Nach Berechnungen der Washington Post gab Donald Trump bis zum Ende seiner ersten Präsidentschaft 30.573 falsche oder irreführende Aussagen von sich (Report Psychologie 3/2025, S. 7) Das sind im Durchschnitt 21 fragwürdige Behauptungen pro Tag! |
In der Persönlichkeit sind Fähigkeiten und Neigungen etabliert, die das Lügen erleichtern und besser gelingen lassen können. In einer Reihe von Studien werden die folgenden genannt:
- Gutes Gedächtnis,
- schnelles und originelles Denken,
- schauspielerisches Talent,
- Empathie (Überzeugungen und Absichten des Gegenübers erfassen),
- manipulative Fähigkeiten,
- geschickte Rhetorik.
- Nicht zuletzt begünstigt auch ein Mangel an Schuldgefühlen und moralischen Skrupeln das Lügen.
Aber nicht nur das geschickte Lügen bewirkt, dass das Lügen so schwer oder gar nicht erkennbar ist. Zwar hält sich der Glaube an „Lügensignale“ unerschütterlich (Blickflattern, Rotwerden, Minibewegungen in der Gesichtsmuskulatur usw.). Diese falsche Zuversicht hat schon zu dramatischen Fehlurteilen geführt und ist durch die Forschung widerlegt.
„Weiß nicht“ sagt das Kind
Eines Tages sagt Arya zu ihrer Mutter „Ich habe Papa auch Küsse gegeben. Auf den Bauch und auf den Pippimann. Wie Lutscher.“ Dann sagt sie nichts mehr. Aber der Gutachter hat seine Methoden und kommt zu einem schlimmen Ergebnis.
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Sexueller Missbrauch von Kindern
Sexueller Missbrauch von Kindern ist ein Thema, das uns alle angeht. Menschen reagieren darauf empört, oft aber auch meidend und abwehrend, froh, damit nichts zu tun zu haben. Er passiert aber mitten unter uns, in Vereinen, Schulen, Kirchen und vor allem in Familien. Kinder sind darauf angewiesen und vertrauen darauf, dass Erwachsene ihre Grenzen respektieren und um ihr Wohl bemüht sind. Dieses Vertrauen nutzen Täter und Täterinnen aus, täuschen Nähe und Zuwendung vor und verschaffen Aufmerksamkeit. Sie befriedigen ihre sexuellen oder sozialen Bedürfnisse unter Nutzung von ungleichen Machtverhältnissen, Abhängigkeit und Vertrauen. Sie entsprechen nicht dem oft vorhandenen aber falschen Bild vom Monster, sondern sind um unauffälliges Verhalten im Alltag bemüht und meist gut beleumundet.
Im Jahre 2024 wurden in Deutschland mehr als 18.000 Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht (BKA-Lagebild), damit – wie in den Jahren vorher – intolerabel und unerträglich viele. Dabei sind die Zahlen nur begrenzt bedeutsam, weil das Dunkelfeld erheblich größer ist. Die meisten Tatverdächtigen waren Männer. Unter den Opfern ist der Anteil der Mädchen deutlich höher als der der Jungen. In mehr als der Hälfte der Fälle kannten sich Täter und Opfer vor der Tat. Ein Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht und sexuellem Missbrauchserleben besteht nicht, ganz in Gegensatz zum Zusammenhang zur Misshandlung von Kindern.
Missbrauch muss nicht körperlich sein. Sexualisierte Gespräche, Agieren mit Pornographie, Drängen auf bzw. Erpressen von Nacktfotos zählen dazu.
Ein wesentlicher und rasch zunehmende Teil der Delikte findet im Internet statt. Die Herstellung, die Verbreitung und der Besitz von einschlägigen Bildmaterial stand bisher im Vordergrund. Eine neue Entwicklung ist das sogenannte Cybergrooming (Vertrauensaufbau über Internet). Online-Plattformen und Foren im Darknet werden zunehmend als Revier für Missbrauchshandlungen genutzt. Die befristete Speicherpflicht von relevanten IP-Adressen und zugehöriger Port-Nummern ist eine berechtigte Forderung.
Viele Bemühungen in der Vergangenheit, um diese Risiken für Kinder zu verringern, waren nicht erfolgreich, die Häufigkeit der Missbrauchsfälle ist nicht gesunken. Dennoch ist es wichtig, alle Möglichkeiten auszuschöpfen und auszuweiten, um diese Geißel zu bekämpfen.
Schädlich ist, wenn das Thema gemieden wird, statt hinzuschauen und Voraussetzungen zu schaffen, die Kinder schützen. Dazu gehört, altersgerecht und ohne Panik Kinder darüber aufzuklären, wo ihr Recht auf Grenzen verletzt werden kann und wann und wie sie „Nein“ sagen sollten.
Eltern, Lehrer und andere Bezugspersonen müssen fähig und willens sein, Warnsignale zu erkennen und anzusprechen, ohne in falschen Aufdeckungseifer zu geraten. Wird es kompliziert sind kompetente Beratungsstellen notwendig, an die man sich wenden kann. Da Missbrauchsfälle zunehmend online stattfinden, ist entsprechende Medienkompetenz notwendig. Das alles bedeutet, dass die Politik förderliche Rahmenbedingungen schaffen muss, unter anderem auch Budgets zum Beispiel für Präventionsarbeit an Schulen.
Sexueller Missbrauch im Gesetz
Um sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche angemessen entgegentreten zu können, ist die Kenntnis relevanter Gesetze ein Vorteil. Sie stellen den Zusammenhang zwischen Recht und Erscheinungsweisen des Missbrauchs her.
So handelt nach § 176 StGB (Sexueller Missbrauch von Kindern) strafbar und wird mit einer Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft,
- wer sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt,
- wer ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt
- und wer ein Kind für solche Handlungen anbietet.
Nimmt jemand sexuelle Handlungen an einer Person unter 14 Jahren vor oder lässt sie an sich vornehmen, kann das Gericht von einer Strafe absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.
Sehr differenzierte gesetzliche Regelungen gibt es, wenn es um sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen gemäß § 174 StGB, um die Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger gemäß § 180 StGB oder um sexuellen Missbrauch von Jugendlichen gemäß § 182 StGB geht.
Als Maßstab für strafrechtliche Relevanz wird in § 184h StGB „einige Erheblichkeit“ sexuelle Handlungen gefordert.
Gegen die „Verbreitung pornographischer Inhalte“ werden Personen unter achtzehn Jahren geschützt (§ 184 StGB). Strafbar sind auch Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte (§ 184b StGB) sowie die Veranstaltung und der Besuch kinder- und jugendpornographischer Darbietungen (§ 184e StGB).Warum Missbrauch?
Ansichten und Theorien zu den Ursachen sexuellen Missbrauchs sind ein Tummelplatz langlebiger Mythen, die aber größtenteils widerlegt sind. Es gibt keine Häufigkeitsunterschiede in den unterschiedlichen Bevölkerungsschichten. Täter sind meist sozial integriert. Minderintelligenz oder psychiatrische Erkrankungen sind nicht typisch, ebenso wenig ein besonders ausgeprägter Sexualtrieb. Auch Alkohol und Drogenkonsum spielen nur mittelbar als enthemmender Faktor eine Rolle. Neuere Annahmen wie „Sittenverfall“ oder „triebentfesselter Zeitgeist“ erweisen sich ebenfalls als unzulänglich.
Warum? Die Gemeinsamkeit der Annahmen ist, dass sie einseitig und auf einzelne Gründe orientiert sind. Die Ursachen sexuellen Missbrauchs von Kindern sind aber durch den Zusammenspiel vieler Faktoren bedingt.
Der amerikanische Psychologe Finkelhor hat das in einem komplexen Modell mit Erklärungswert berücksichtigt. Er hat individuelle, soziologische und kulturelle Umstände auf interessante Weise miteinander verflochten. Das Ergebnis sind vier Voraussetzungen für sexuellen Missbrauch von Kindern:
1. Voraussetzung: Motivation zum Kindesmissbrauch. Dazu gehört, dass ein Kind mögliche Quelle sexueller Erregung sein kann und/oder dass eine sexuelle Beziehung zu einem Kind ein wichtiges emotionales Bedürfnis befriedigt. Hintergründe können eine verzögerte emotionale Entwicklung, erhöhtes Machtbedürfnis, frühere
emotionale Verletzungen. Das sind die individuellen Faktoren. Auf der soziokulturellen Ebene können Merkmale der männlichen Sozialisation eine Rolle spielen wie das Streben nach Dominanz oder die Tendenz, emotionale Bedürfnisse zu sexualisieren. Ungünstig ist, wenn alternative Möglichkeiten zur sexuellen Befriedigung blockiert sind z. B. im Rahmen von Ängsten oder nach traumatischen sexuellen Erfahrungen mit Erwachsenen.
2. Voraussetzung: Innere Hemmungen müssen überwunden werden, damit Motive
wirksam werden können. Dazu können beitragen Alkoholisierung, Impulskontrollstörungen, Psychosen, Senilität und eine nicht funktionierende Inzest-Hemmschwelle. Soziokulturelle Faktoren sind gesellschaftliche Toleranz in Bezug auf Alkoholtaten oder Übergriffe gegenüber Kindern, milde strafrechtliche Reaktionen gegenüber Tätern sowie Kinderpornografie.
3. Voraussetzung: Äußere Hemmfaktoren müssen überwunden werden. Ungünstige Lebensbedingungen des Kindes können dies erleichtern. Je weniger ein Kind beachtet und beaufsichtigt wird, je weniger das Kind stabile und schützende Beziehungen zu anderen Menschen hat, desto geringer sind die Barrieren in der Umgebung. Soziokulturell begünstigend können die Akzeptierung von Dominanz und Gewalt männlicher Partner sowie das Fehlen schützender Netzwerke sein.
4. Voraussetzung: Überwindung des kindlichen Widerstands. Täterstrategien basieren
häufig auf der Fähigkeit, Opfer mit geringem Widerstandspotential zu erkennen, d. h.
Kinder oder Jugendliche, die subtilen Annäherungen bzw. materiellen oder emotionalen Belohnungen zugänglich sind. Emotionales Mangelerleben des Kindes ermöglicht dem Täter eher, eine scheinbar vertrauensvolle Beziehung aufzubauen. Alternativ sind Varianten von Zwang und Gewalt. Auf soziokultureller Ebene wirken Mängel in der Sexualerziehung bzw. Sexualpädagogik.
Diese Voraussetzungen stellen Risikofaktoren dar, die insbesondere durch ihre
Kombination die Wahrscheinlichkeit sexuellen Missbrauchs erhöhen.
Ansonsten werden vor allem Besonderheiten in der Persönlichkeit von Missbrauchstätern gesucht und klassifiziert. Auch sie können Teil von Sachkunde sein. So hat sich die Unterscheidung von fixierten Missbrauchstätern und regredierten (sozial oder geistig zurückgeblieben) Missbrauchstätern als praxistauglich erwiesen (s. Abbildung). Die fixierten Missbrauchstäter werden auch als Kern-Pädophile oder klassischer Pädophilie bezeichnet. Nicht alle pädophil ausgerichteten Männer werden zu Tätern. Die Impulskontrolle kann gelingen, der Kontakt zu Kindern wird gemieden. Oder professionelle Hilfe und spezielle Therapieangebote werden wahrgenommen.
Fixierte Missbrauchstäter | Regredierte Missbrauchstäter |
Rückfallrisiko höher |
Rückfallrisiko geringer |
Die Folgen von Missbrauch
Sexueller Missbrauch ist eine potenzielle Gefährdung des Kindeswohls. Diese ergibt
sich aus dem Risiko von Folgeschäden für das Kind. Dies gilt für alle Tatmodalitä-
ten, gleich ob mit Gewalt oder ohne, mit Körperkontakt oder ohne. Mögliche Folgen
werden oft in Symptomlisten aufgezählt. Kognitive und emotionale Auffälligkeiten,
Verhaltens- und Befindlichkeitsstörungen, Entwicklungsbesonderheiten und Krank-
heiten werden genannt, die sexuellen Missbrauch anzeigen sollen. Sie können aber immer auch Folge anderer Belastungen sein, zum Beispiel das Erleben elterlicher Dauerkonflikte. Deshalb gilt, dass es keine Wenn-dann-Abläufe gibt, weder für kurzzeitige noch für langfristige Folgen.
Es gibt aber Wahrscheinlichkeiten. Die Wahrscheinlichkeit schädlicher Folgen ist umso größer,
- je häufiger Missbrauchshandlungen stattfinden,
- je intensiver und gewalthaltiger die Handlungen sind,
- je mehr emotionale Nähe zum Täter besteht,
- je größer der Altersunterschied zwischen Täter und Opfer ist,
- je auswegloser das Kind die Missbrauchssituation erlebt,
- je weniger schützende Vertrauensbeziehungen und Möglichkeiten, sich jemandem anzuvertrauen,
- je weniger Stigmatisierung als Opfer im Umfeld geschieht.
Wenn Kindern Übergriffe widerfahren, bevor sie diese richtig einordnen können, erleben sie solche Handlungen zunächst als „Zuwendung“. Kinder fühlen sich dann oft schuldig und es besteht dringender Bedarf an Betreuung.
Polygrafie - was kann der Lügendetektor?
Mit einem Lügendetektor überführte also Dr. Rother den Fabian Kemmrich als schuldig des sexuellen Kindesmissbrauchs. Geht das überhaupt?
Fangen wir an mit einer Unwahrheit. Die Bezeichnung Lügendetektor ist nicht korrekt. Das Wort sagt mehr, als der Apparat leisten kann. Er ist ein simples Messgerät, das Biosignale anzeigt (Atmung, Herzfrequenz, elektrische Hautleitfähigkeit, Blutdruck).
So wie das Stethoskop kein Krankheitsmelder ist, sondern nur Auffälligkeiten im Organismus anzeigt, so sagt dieses Gerät allein noch nichts über Wahrheit und Lüge an. Was diagnostiziert wird, ist die subjektive Bedeutsamkeit von Reizen, Hier Bedeutsamkeit der Fragen, die gestellt werden. Höhere Bedeutsamkeit bedeutet höhere Aktivierung, die sich in den Ausschlägen der Biosignale auf dem Monitor zeigt.
Werden z. B. einer Person im Abstand von 15 Sekunden 6 Mädchen Namen genannt und ein Name ist der seiner zweijährigen Tochter, dann zeigen sich da verstärkte Reaktionen.
Beim Vergleichsfragen-Test (einer der beiden Varianten des Polygrafietests) sind es zwei Arten von Fragen, die einem Missbrauchs-Verdächtigten in bestimmter Reihenfolge und in standardisierter Form dreimal gestellt werden:
- Fragen, die nichts mit dem eigentlichen Thema zu tun haben, aber auch nicht harmlos sind (Kontrollfragen).
- Und Fragen, die sich auf den Tatvorwurf beziehen (Tatfragen).
Die körperlichen Reaktionen auf die Fragen werden verglichen. Die Hypothese ist: Der Täter kann sich dem Bedrohungspotential der Tatfragen nicht entziehen. Sie lösen stärkere Reaktionen als die Kontrollfragen aus. Wird jemand zu Unrecht einer Tat bezichtigt, scheren ihn die Tatfragen weniger, sondern eher die Kontrollfragen nach eventuellen Normverstößen in anderen Bereichen, weil sie das Gewissen treffen. Die Ergebnisse werden in standardisierte Form von Hand oder mit Computerprogrammen ausgewertet. Fabian Kemmrich aus unserer Geschichte reagierte deutlich intensiver auf die Tatfragen als auf die Vergleichsfragen.
Anwendung: Die Methode wird in vielen Ländern als effektiv angesehen und deshalb angewandt, so z. B. in den USA, in Kanada, Großbritannien , Israel, Japan, ferner in einige osteuropäischen und lateinamerikanischen Ländern, praktiziert von Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichten, Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden, Firmen und Militär.
In Deutschland wurde die Polygraf-Methode neben Delikten wie Diebstahl, Raub, Eid, Urkundenfälschung vor allem In Fällen angewandt, in denen der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs erhoben wurde, zuweilen auch beim Vorwurf der Kindesmisshandlung
Als Vorteile bei der Anwendung in Fällen des sexuellen Missbrauchsverdachts werden angeführt:
- Das Kind kann vor weiteren belastenden Befragungen und Begutachtungen bewahrt
werden (Opferschutzaspekt),
- Die Methode ist die einzige Möglichkeit der Verdachtsprüfung, wenn die kindliche Aussage der einzige Beweis ist, die Aussage aber nicht verwertbar ist wegen zu geringen Alters, wegen geistiger Behinderung oder infolge suggestiver Mehrfachbefragung.
Qualität und Einwände: Die Befürworter der Methode argumentieren, auch die Polygrafie bestätige, dass es kein hundertprozentig sicheres, fehlerfreies wissenschaftliches bzw. technisches Verfahren gibt. Aber die Methode gilt als sicherer als die meisten anderen psychologischen Verfahren, auch im rechtspsychologischen Bereich. Dabei wird verwiesen auf US-amerikanische Meta-Studien, die gezeigt haben, dass die Genauigkeit eines Polygrafietest zwischen 93% und 98,5% liegen können, wenn die entsprechenden Vorausetzungen vorliegen und berücksichtigt werden. Das Verfahren wird deshalb als überzufällig treffsicher und sicherer als z. B. Zeugenaussagen oder richterliche Eindrücke eingeschätzt.
In Deutschland hat der Bundesgerichtshof die Methode zwar nicht verboten, aber als Beweismittel mit mangelnder Verlässlichkeit der Ergebnisse abgelehnt (1998 für das Strafverfahren und 2003 für das Zivilverfahren). Seitdem wird sie nur noch wenig angewandt. Diese BGH Urteile sind sehr umstritten. Juristen wie auch Familienrichter haben erhebliche Bedenken. Die höchstrichterlich formulierten Ansprüchen an die Polygrafie werden von keiner anderen psychologischen Methodik erfüllt. Es wird gefragt: Haben sich Ängste, Unbehagen und Widerwillen zu Abwehr formiert, die sich in Überansprüche an eine Methode kleidet?
Die Befürworter der Methode geben zu bedenken: Beschuldigten wird die einzige Möglichkeit genommen, einen Unschuldsbeweis anzustreben. Wenn er durch das Ergebnis des Polygraf-Tests entlastet wird, ist das nicht nur für seine persönlichen Belange (Erhalt der Familienbeziehungen und des beruflichen Status) wichtig, sondern auch für das Interesse des Kindes an der Fortsetzung kindeswohldienlicher Beziehungen zu beiden Elternteilen.
Ängste: Zur Diskussion um die Methode gehören auch Ängste,z. B. die Angst, dass die Erregung wegen der existenziell wichtigen Befragungssituation und des bestehenden Verdachts die eigentlichen Testreaktionen verfälschen und überlagern könnte. Dem wird im Rahmen des standardisierten Vorgehens mit ausführlichen Vorbesprechungen und einem Probelauf begegnet. Es gelten die Prinzipien der Freiwilligkeit und der Transparenz.
Weitere Bedenken betreffen Verfälschungsmöglichkeiten: Könnte jemand das Ergebnis manipulieren? Unschuldigen liegt das fern, da sie an unverfälschten Ergebnissen interessiert sind. Für Täter ist es extrem schwierig, ein falsches Ergebnis herbeizuführen. Dazu müsste er die Verfahrens-Logik kennen und wissen, wann hohe Ausschläge in den Kurven günstig sind (bei den Vergleichsfragen) und wann möglichst geringe oder keine Ausschläge günstig sind (bei den Tatfragen). Das reicht aber nicht. Er müsste auch in der Lage sein, entsprechend Einfluss zu nehmen auf seine physiopsychologischen Reaktionen (Blutdruck elektrischer Hautleitfähigkeit usw.). Versuche mit einfachen Tricks (Bewegung, unregelmäßige Atmung, Zungebeißen) sind leicht erkennbar. Mentale Manipulationen (Entspannungsübungen, konträre Selbstinstruktionen) nach Anleitungen durch einen Trainer oder im Internet Sind möglich, aber aufwendig und schwierig und nur sinnvoll wenn die Ergebnisse tatsächlich günstig gestaltet werden. Einschlägige Fälle sind in Deutschland nicht bekannt geworden.
Kein Appetit
Am Anfang wollten die Großeltern nur helfen. Aber dann wollten sie mehr. Am Ende waren alle, auch die Mutter, machtlos gegen die feste Allianz zwischen dem neun-jährigen Winfried und den Großeltern. Ein desolater Mikrokosmos als Schicksal?
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Verstrickte Familie
Familien sind eben auch nur ein System, in dem jeder seine emotionalen Bedürfnisse einbringen und durchsetzen will. Geschieht dies mit mangelnder Kontrolle oder ungleichen Machtverhältnissen, wird es eben mit der Zeit ein desolates System. Unbewusst entstehen Drehbücher, die Regieanweisungen enthalten. Dazu gehört, dass Ich-Grenzen verwischt werden und man sich ungenügend oder rigide voneinander abgegrenzt. Abhängigkeiten können entstehen, bei denen eigene Bedürfnisse für die Bedürfnisse anderer geopfert werden oder bei denen Aufgaben und Pflichten anderer bis zur Selbstaufopferung übernommen werden – bis die Akteure des Dramas auf unselige Weise miteinander verschlungen und verklebt sind. Verstrickung kann mit gesunder Nähe verwechselt werden, schränkt aber ein.
Je größer das Ausmaß der Verklebung, desto geringer die Fähigkeit, sich daraus zu lösen und die Rollenbilder oder Regeln zu ändern. Dadurch verhärten sich die Grenzen nach außen, das System sieht sich gefährdet. Beratung und Hilfeversuche haben es schwerer.
Je nach Dominanzverhältnissen und Persönlichkeitsbesonderheiten können die Folgen für die einzelnen Familienmitglieder sehr unterschiedlich sein. Die Identitätsbildung und die Selbstständigkeit können eingeschränkt werden. Das ständige Gefühl der Überforderung kann zu Hilflosigkeit führen.
In der Geschichte Kein Appetit gerät die Mutter – schon als Kind von den Eltern unangemessen dominiert – durch Krankheit, berufliche Anforderungen, aber auch durch eigene Fehlreaktionen in Abhängigkeit von ihren Eltern. Diese nutzen ihre Machtposition zunehmend hemmungslos aus und erzeugen Abhängigkeit vor allem im Kampf um den Enkel Marco. Die Mutter sieht sich gezwungen, ihre Bedürfnisse und auch ihre Aufgaben zugunsten der Großeltern abzugeben. Ihre Widerstandskraft sinkt, so dass sie hinnimmt, dass die Großeltern den Jungen bei sich einquartieren, Einschulung, Arztbesuche, Reisen und dann auch die Erziehung übernehmen. „Was blieb mir übrig?“, fragt Evelyn Schade immer wieder zwischen deplazierten Protesten. Die Abgrenzung der Mutter auch dem Jungen gegenüber geht soweit, dass sie letztlich als Erziehungsperson tatsächlich ausfällt.
Und was sind die Folgen für Marco?
In verstrickten Familien werden Kinder nicht ermutigt, emotional unabhängig zu werden. Eltern (oder Großeltern) respektieren die Privatsphäre nicht, verlassen sich auf emotionale Unterstützung durch das Kind. Verzögerte Autonomieentwicklung und eingeschränktes Vermögen, die eigenen Bedürfnisse von den Bedürfnissen Erwachsener zu unterscheiden, sind die Folgen.
Sie sind Loyalitätskonflikte ausgesetzt und lernen zu manipulieren.
Oft halten sie sich für mitschuldig und bemühen sich, die Konflikte zu mildern. Anders Marco. Er sucht und erkennt Vorteile in dieser Konstellation und geht entschlossen das Bündnis mit den Großeltern gegen seine Mutter ein. Er bestimmt Grenzen und Zuständigkeiten (sagt zur Mutter „Du hast mir gar nichts zu sagen, das bestimmen Omi und Opi“). Er erkennt und vertritt die Interessen der Großeltern („Ich lasse den Umgang nur über mich ergehen, weil sonst Opa und Oma Schwierigkeiten haben“). Am Ende manipuliert er aber auch die Großeltern und versteigt sich zu der Gesamterkenntnis: „Eigentlich muss man sich schämen für die ganze Familie.“ Nur scheinbar erhebt er sich damit über die miserable und verfahrene Situation. Die Erwachsenen und insbesondere die Großeltern haben massiv dazu beigetragen, dass der Junge mental überfordert war und weder beruflich noch privat erhebliche Konflikte vermeiden konnte.
Muss das so sein? Zwar ist das Erkennen solcher schädlichen meist unbewussten Muster schwer, vor allem wenn sie sich über Generationen gebildet haben. Aber es ist möglich. Wer bemerkt, dass er in einem fremden Stück mitspielt und belastende Rollen übernommen hat, kann sich entscheiden, sein eigenes Stück zu schreiben und zu leben. Dazu gehört, eigene Bedürfnisse und die Bedürfnisse anderer zu erkennen und voneinander zu unterscheiden, Grenzen zu setzen und einzuhalten.
Hilfreich können ein neutraler Blick und Hilfe durch eine Vertrauensperson, einen Therapeuten oder Coach oder in Selbsthilfegruppen sein.
Im Kaufrausch
Kaufen war für sie wie Aufenthalt im Paradies. Egal was, egal für wen. Auch wenn nur noch durch Pump oder Zugriff auf das Sparbuch der kleinen Tochter möglich, auch wenn die Kreditraten für das Haus gefährdet sind. Bis die Ehe zerbricht.
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Der Kitzel des Kaufens
Auch bei Lea Leopold fing es harmlos an – Duftkerzen, Ohrringe, noch eine Handtasche. Immer begleitet vom Wohlgefühl beim Bezahlen, von der Lust am Neubesitz und am Abenteuer des Kaufens. Gefühle, die sich allmählich verselbstständigen und die Merkmale von Zwang und Sucht annehmen. Es ist soweit, wenn nach Kaufrausch Schuld- und Schamgefühle nur durch weiteres Kaufen verdrängt werden können. Die Jagd nach dem nächsten Kick wird zum Teufelskreis, in dem soziale und berufliche Beziehungen, Kontobestände und Selbstwert untergehen können.
Die Kaufsucht als zwanghaftes, unkontrolliertes, dauerhaftes Verhalten unabhängig vom tatsächlichen Bedarf ist eine schwerwiegende psychische Störung, die ca. 5 % der Bevölkerung betrifft– unabhängig vom Geschlecht und sogar vom Einkommen.
Sie ist geeignet, kurzfristig negative Gefühle wie Überdruss, Langeweile, Einsamkeit oder Stress durch Glücksgefühle zu ersetzen. Hintergrund kann der Mangel an Zuwendung, Anerkennung oder Sicherheit sein. Wird das Verlangen nach Kaufen unterdrückt, kommt es zu Reizbarkeit, Getriebensein oder Angst.
Kaufsucht wird wie kaum eine andere Sucht durch gesellschaftliche und vor allem wirtschaftliche Bedingungen befördert. Die allgegenwärtige Kauflandschaft stimmuliert nicht nur, sondern bedrängt mit knalliger Online-Werbung, „einmaligen“ Verkaufsangeboten, künstlicher Verknappung. Diverse Shops sind Tag und Nacht geöffnet. Stets bargeldloses Zahlen im Onlinehandel und der heikle Reiz des „Jetzt kaufen“-Button lassen schnell vergessen, wenn man über seine Verhältnisse lebt und kauft.
Wer in diese Falle geraten ist, hat Möglichkeiten, sich zu befreien. Es beginnt bei der Selbsthilfe:
- Einfache Unterbrechung der Kaufwege durch Sperren der Zugänge zum online-Banking.
- Einrichten von Passwort-Sperren.
- Kaufen nur nach Einkaufslisten statt Spontankäufe.
- Kaufwunsch überschlafen (die „24-Stunden-Regel“ einführen.)
- Suche nach alternativen Wegen, mit negativen Emotionen umzugehen.
Der nächste Schritt ist, sich Hilfe von außen zu holen. Selbsthilfegruppen, Suchtberatungsstellen, Psychotherapie helfen, die tiefer liegenden Ursachen für das Kaufverhalten zu finden.
Das verborgene Wort
Es habe ihn „jemand“ immer wieder am Puller gezogen, sagt der dreieinhalbjährige Martin. Mutter und Stiefvater befragen ihn. Danach interessieren sich Polizei und Gericht für den Vater des Jungen. Doch der Gutachter zählt die Worte.
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Missbrauchsverdacht ist nicht Missbrauch 2
Gerd Rudorf hat also in seinem Übereifer ein Wort gebraucht, dass der dreijährige Matteo übernommen und damit ein wenig fabuliert hat. Für Rudorf steht fest: Der Vater muss das Kind missbraucht haben. Ein verhängnisvoller Irrtum, der nicht nur Matteo, sondern die ganze Familie belastet.
Wenn es zu einem falschen Missbrauchsverdacht kommt, kann eine Vielfalt von Trugschlüssen und Missverständnissen dahinterstehen. Kinder verhalten sich manchmal auffällig – sie schlafen schlecht, ziehen sich zurück oder wirken distanzlos, sind ängstlich, verletzen sich selbst. Manche malen sie Dinge, die Erwachsene sofort als „verdächtig“ deuten.
Aber alle denkbaren Folgeerscheinungen sexuellen Missbrauchs im Verhalten und Erleben sind nicht spezifisch, d. h. sie können auch Folge anderer Risikofaktoren sein: Ein Kind erlebt Dauerstreit zwischen den Eltern und ist durch einen Loyalitätskonflikte belastet oder ist in der Schule überfordert oder gemobbt.
Außerdem gilt für solche Auffälligkeiten: Es gibt kein Wenn-Dann und kein Missbrauchssyndrom. Geschehener Missbrauch muss solche Folgen nicht haben (Vergleichsuntersuchungen haben übereinstimmend ergeben, dass sich selbst Zeichnungen sexuell missbrauchter und nicht missbrauchter Kinder nicht systematisch unterscheiden, weder in Bezug auf das Zeichnen oder Weglassen von Genitalien oder anderer Körperteile noch bezüglich Farben.)
Es gibt ein erhöhtes Schadensrisiko, aber keine Zwangsläufigkeit. Manche Kinder zeigen trotz schlimmer Erfahrungen erstaunliche Widerstandskraft, andere reagieren auf vergleichsweise „kleinere“ Belastungen sehr stark.
Falsche und unsachgemäße Bewertungen von Auffälligkeiten als Signale für Missbrauch sind keine absichtlichen Falschbezichtigungen, sondern eben oft Irrtümer. Wenn Feindseligkeit und Spannungen in der Familie dominieren, steigt die Wahrscheinlichkeit falscher Ursachenzuschreibung. Natürlich ist dabei sofort an Trennungs- und Scheidungsfamilien zu denken. Folgerichtig haben empirische Studien beteiligter Professionen seit den 1990er Jahre bestätigt, dass der Anteil nicht belegbarer bzw. falscher Missbrauchsverdächtigungen in familiengerichtlichen Verfahren höher ist als in anderen Bereichen. Negative Beziehungsaffekte wie Angst, Enttäuschung, Feindseligkeit und vor allem Misstrauen verzerren die Urteilsbildung. Mehrdeutige Äußerungen oder auffällige Verhaltensweisen des Kindes werden schneller als „Signale“ eines Missbrauchs gedeutet. Stress nach einem Besuch beim Vater wird als Symptom für Übergriffe beim Kontakt interpretiert.
So entstandene Vermutungen führen dazu, dass Kinder befragt werden, oft suggestiv und mit der Gewissheit, dass Schlimmes passiert ist. Erwartungen werden vermittelt und Gedächtnisinhalte verändert. Die Aussagen der Kinder stellen häufig ein passives Befolgen der Suggestion ohne Täuschungsabsicht dar. Sagen die Kinder nichts, wird dies oft als Redeverbot des Täters interpretiert. Mehrfachbefragungen vor allem durch ungenügend qualifizierte Befrager führen dann dazu, dass die Aussagen eines Kindes nicht verwertbar sind.
Aufmerksamkeit und Sensibilisierung für die Missbrauchsproblematik haben sich in den letzten Jahrzehnten massiv erhöht. Entsprechendes Vokabular ist Bestandteil der Alltagssprache geworden, die Medien haben jahrelang das Thema zur „Welle“ gemacht. Massenhafte Missbrauchsfälle in weltlichen wie kirchlichen Institutionen haben zu alldem beigetragen.
Begleiterscheinung sind fehlerhafte Missbrauchsverdächtigungen, die in der Vergangenheit zu großen Missbrauchsprozessen wie den Wormser Prozessen oder dem sog. Montessori-Prozess und dem Nordhorner Verfahren geführt haben. Fehlbeurteilungen in der jüngeren Vergangenheit zeugen davon, wie beständig die Problematik ist.
Was können wir daraus lernen:
- Kinder vor sexuellem Missbrauch zu schützen, dient dem Kindeswohl. Falsche Missbrauchsverdächtigungen zu verhindern, dient ebenfalls dem Kindeswohl (Matteo wurde vor weiteren Befragungen und vor der Etikettierung als „Missbrauchsopfer“ bewahrt, der Vater als Bezugsperson wurde ihm erhalten). Einen der beiden Kindeswohlaspekte einseitig zu beachten, dient nicht dem Kindeswohl.
- Sorgfalt statt unkritischem Hinnehmen von Erzählungen.
- Vermeiden und Suggestion und Vorurteil bei Befragungen (gilt für den Alltag wie für professionelle Vernehmungen).
- Nicht bestätigte Vorwürfe sind nicht immer bewusste Falschbehauptungen
- Ein Missbrauchssyndrom gibt es nicht.
Anmerkung: Wer sich mit dieser Problematik intensiver beschäftigen will und vor Fachliteratur nicht scheut, den verweise ich auf das Buch von H. Dettenborn und E. Walter „Familienrechtspsychologie“, in der 4. Auflage 2022 im Ernst Reinhardt Verlag München erschienen (ISBN Print 978-3-8252-811-2; ISBN E-Book 978-3-8385-8811-7).
Die Wormser Prozesse
Keines der sechzehn 4-7jährigen Kinder hatte von sich aus eine Beschuldigung vorgebracht. Dennoch stützte sich die Anklage des Landgerichts Mainz fast ausschließlich auf Aussagen der Kinder. Sachbeweise wie Spuren, medizinische Befunde oder Bildmaterial gab es nicht. Wie ist das möglich?
In Worms (deshalb Wormser Prozesse) wurden 25 Frauen und Männer beschuldigt, jahrelang Kinder schwer sexuell missbraucht zu haben, teilweise ritualisiert und in organisierter Form. Daraus entstanden drei spektakuläre Strafprozesse zwischen 1994 und 1997. Sie endeten nach insgesamt 325 Verhandlungstagen mit Freisprüchen für alle Angeklagten. Erhebliche Zweifel der Richter an der Glaubwürdigkeit der Aussagen waren der Grund.
Ein Justizskandal erschütterte das Land. In den Medien war von Monsterprozessen und vom „größten Kinderschänderprozess Deutschlands“ die Rede.
Was war passiert? Als endlich mit aussagepsychologischer Akribie untersucht wurde, wie die Aussagen zustande kamen, stellte sich heraus: Die Kinder waren suggestiven Befragungen intensiv und immer wieder über Wochen und Monate sowie tendenziösen Gesprächen teils mit klar erkennbaren Erwartungen seitens befragender Personen (Betreuer, Pädagogen Therapeuten, Vernehmer) ausgesetzt. Deren Einfluss war erheblich, weil sie Autoritätspersonen waren, teilweise bestand sogar Bindungen zu ihnen. Teilweise wurden „sexuelle Missbrauchsspiele“ mit Puppen als therapeutische Maßnahmen deklariert und auf diesem Wege Aussagen angeregt, teilweise auch Scheinerinnerungen produziert. Schließlich konnten sich auch Eltern nicht der Situation entziehen. Es kam vor, dass sie ihrem Kind die belastenden Aussagen anderer Kinder vorhielten. Dahinter stand dann, dass ihnen selbst missbilligend vorgehalten wurde, dass ihr Kind „noch nichts gesagt“ hatte.
Unter diesen Bedingungen gingen Kinder nach und nach dazu über, die „Opferrolle“ anzunehmen und Rache- und Hassgefühle gegen die beschuldigten Verwandten zu empfinden. Auch wuchs die Bereitschaft, tatsächlichen oder vermeintlichen Erwartungen befragender Erwachsener nachzukommen und deren Wohlwollen zu erlangen, bis hin zur Auflistung von Täternamen.
Bis heute sind die Wormser Prozesse Mahnung und Lehrstück. Sie veranschaulichen, wie leicht blinder Aufdeckungseifer und suggestive Befragungen Kinder zu belastenden Aussagen bringen können, die am Ende nicht mehr verwertbar sind.
Dem Recht wurde spät Genüge getan. Die Angeklagten waren keine mehr. Aber als Privatpersonen waren sie erheblich geschädigt und stigmatisiert, hatten teilweise die Arbeit verloren, Partnerschaften wurden zerstört. Kinder hatten sich tvon den Eltern entfremdet, einige waren in Heimen untergebracht worden.
Und nicht zuletzt zeigen die Wormser Prozesse die drastischen Folgen, wenn die Balance zwischen dem Schutz des Kindes vor sexuellem Missbrauch und dem Schutz von Erwachsenen vor falschen Missbrauchsvorwürfen verloren geht.
Der Montessori-Prozess
Am Beginn war auch hier völlig klar, dass alles auf einen abscheulichen Sexskandal hinauslief. Am Ende wurde es ein Lehrstück über falsche Gewissheiten. Einem Montessori-Erzieher wird vor dem Landgericht Münster vorgeworfen, über Jahre hinweg zahlreiche Kinder sexuell missbraucht zu haben. Von einem pädokriminellen Netzwerk im Kindergarten und von mehr als 50 betroffenen Kindern ist am Anfang die Rede. Die Öffentlichkeit ist empört, die Medien schlagen Alarm. Doch im Verlauf des dreijährigen Prozesses (1992-1995) ändert sich die Lage.
Schnell war untergegangen, dass am Anfang nur eine vieldeutige und vage Bemerkung eines Jungen stand, die die Mitarbeiterin einer Kinderschutzorganisation als Hinweis auf sexuellen Missbrauch deutete. Im Sog der Aufdeckungsbemühungen dieser Organisation setzte ein Ermittlungsfieber ein. Die Folge waren suggestive Mehrfachbefragungen der Vorschulkinder in den Montessori-Kindergärten, in denen der Angeklagte gearbeitet hatte. Es wurde gefragt bis man hörte, was man hören wollte. Berater, Erzieher, Betreuer, Therapeuten und Vernehmer waren für die Kinder Autoritätspersonen mit erheblichem Einfluss, vor allem wenn mit Erwartungsdruck und Vorurteilen befragt wird.
Auch die Eltern gerieten in den Strudel. Sie wurden drangsaliert, auf auffälliges Verhalten ihrer Kinder zu achten und darüber zu berichten. Wenn sie nicht lieferten, galten sie als schlechte Eltern. Dies hatte teilweise Erfolg. Andere Beweismittel als die so erlangten Aussagen der Kinder und der Eltern standen nicht zur Verfügung – eine diffizile Beweislage mit dem Risiko der Fehlbeurteilung.
Es dauerte lange ehe auf anwaltlichen Druck hin und durch akribische Arbeit von Aussagepsychologen nachgewiesen wurde, dass mit fragwürdigen Methoden und manipulativen Gesprächen die Kinder zu belastenden Aussagen gedrängt und dabei auch die Eltern einbezogen wurden.
Das Gericht wurde davon überzeugt, dass nicht Lüge im Mittelpunkt stand, sondern massive Suggestion. Die unbefriedigende Erkenntnis am Ende war, dass sich eine eindeutige Wahrheit nicht mehr feststellen lässt, sodass der Freispruch nicht aufgrund erwiesener Unschuld erfolgte, sondern weil die Schuld nicht zweifelsfrei nachzuweisen war
Das Irren hält an – Fälle aus jüngerer Vergangenheit
In den neunziger Jahren und am Anfang des neuen Jahrhunderts endeten mehrere große Missbrauchsprozesse infolge dilettantischer, vor allem massiv suggestiver Befragungen von Kindern mit Freisprüchen (z. B. die Wormser Prozesse, der Montessoriprozess, der Nordhorn-Prozess). Wer nun erwartet hatte, diese Prozesse würden als Lehrstücke über falsche Gewissheiten und inkompetente Befragungsmethoden dienen und künftig solche Fehler verhindern, sieht sich getäuscht. Auch noch in den letzten Jahren kam es wiederholt zu ähnlichen Prozessen. Missbrauchsvorwürfe innerhalb von Familien führten zu aufwändigen Ermittlungen und belasteten sowohl Erwachsene wie auch Kinder erheblich. Am Ende fehlten objektive Beweise, stattdessen spielen suggestiv erzeugte Aussagen, falsche Erinnerungen, Manipulation und Erwartungsdruck eine Rolle. Ein wiederkehrendes Muster incl. empörter Medienreaktionen ist offenbar nicht zu verhindern.
Einige Beispiele seien genannt:
Der Goslar Fall
Josephine R. beschuldigte jahrelang in einem der aufsehenerregenden Fälle Personen aus ihrem Umfeld schwerer Gewalt- und Missbrauchshandlungen (Vergewaltigung, Folter, Gruppenmissbrauch). Die Folgen: Langwierige Ermittlungen, Untersuchungshaft für die Eltern, Verurteilungen, Aufhebung des Urteils durch den Bundesgerichtshof, schließlich Freisprüche durch ein Gericht im Jahr 2024. Die mediale Rekonstruktion und Kritik des Falles zog sich bis 2025 hin und widmete sich den in solchen Fällen üblichen Fragen: Wieso konnte es zu methodisch fragwürdigen Vernehmungen kommen? Wie konnten Aussagen, die sich letztlich als erfunden erwiesen, so lange bestehen bleiben? Wo liegen die Gründe für derartiges Aufklärungsversagen? Und gleichsam gewohnheitsmäßig: Der Ruf nach Standards für Vernehmung, Gutachten und Medienberichterstattung.
Freispruch einer Mutter in Berlin (2024)
Am Anfang stand der Ratschlag einer in Ausbildung befindlichen Klinikmitarbeiterin für den Vater. Sie legte ihm eine Strafanzeige gegen die Mutter des Kindes wegen Missbrauchs nahe. Er hatte das fünfjährige Mädchen mehrfach wegen Verhaltensauffälligkeiten in die Klinik gebracht. Dort wurde eine erhebliche Belastung des Kindes durch die Trennung der Eltern festgestellt.
Der Vater und die Stiefmutter folgten dieser Empfehlung. Die 36-jährige Mutter des Kindes wurde schließlich angeklagt, ihre Tochter missbraucht und zum Missbrauch angeboten bzw. unbekannten Männern zur Verfügung gestellt zu haben, die sie vergewaltigt hätten. Das Mädchen sei vier bis fünf Jahre alt gewesen.
Es folgte eine Welle von Befragungen und Vernehmungen von Kind und Mutter über drei Jahre. Im Nachhinein wurde festgestellt, dass dabei massive Suggestionen gesetzt wurden. Das Gericht bezeichnete Vernehmungen als „katastrophal“. Man habe das Kind nicht frei reden lassen. Erhebliche Widersprüche in den Angaben des Kindes seien unberücksichtigt geblieben.
Der Mutter wurde in diesem Zeitraum der Kontakt zu ihrer Tochter untersagt.
Am Ende war selbst die Staatsanwaltschaft zu der Meinung gekommen, dass die Vorwürfe unberechtigt waren. Das Landgericht Berlin hat die Mutter von den Vorwürfen freigesprochen und von einem „Scherbenhaufen“ als Bilanz des Verfahrens gesprochen. Tatsächlich gab es zum Finale nur Verlierer, insbesondere hatte die Mutter ihre Tochter, ihren Ruf und ihr seelisches Gleichgewicht verloren.
Missbrauch des Missbrauchs
Es war Waffe in einem erbitterten Sorgerechtsstreit, dass eine Mutter behauptete, der Vater habe die gemeinsame Tochter und auch seine 17-jährige Stieftochter sexuell missbraucht. Obendrauf gab es noch Mordvorwürfe.
Die Mutter setzte zwei „Opferschutzorganisationen“ ein, die die Kinder massiv suggestiven Befragungen unterzogen und das Jugendamt mit Nachdruck von ihren Vorwürfen überzeugen wollten. Sie holte ein Privatgutachten ein, das den Vater ohne Belege als psychisch krank diagnostizierte.
Auch in diesem Fall wurde durch die lange Verfahrensdauer psychisches Leid für die Kinder und den Vater verursacht. Aber immerhin gelangte das Amtsgericht Schwäbisch-Hall im Jahre 2021 nach umfassenden gerichtlichen Ermittlungen und mithilfe von aussagepsychologischen Gutachten zu den richtigen Erkenntnissen. Es stellte fest, dass sich die „Opferschutzorganisationen“ unkritisch von der Mutter instrumentalisieren ließen, dass diese Organisationen ihrerseits ungehemmt versuchten, das Jugendamt zu beeinflussen, dass die Mutter außerdem auch Ärzte, Gutachter, Therapeuten und Ämter hemmungslos belog. Das Gericht konstatierte, dass die „Opferschutzorganisationen“ die Kinder grob unangemessen befragt hatten und dass der Privatgutachter fachlich unqualifiziert war und ein Gefälligkeitsgutachten erstellt hatte. Danach war es nur logisch, dass die Missbrauchsvorwürfe als erfunden und die Mutter als schädlich für das Wohl der eigenen Tochter bewertet wurde.
Das Gericht setzte den Verfahrenswert ungewöhnlich hoch auf 30.000 € fest (Anwälte, mehrere Sachverständige!) und machte konsequenterweise die Mutter sowie die beiden „Opferschutzorganisationen“ zu Gesamtschuldnern für die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.
Mag es in diesem Fall auch weniger kompliziert gewesen sein, dass Lügengebäude der Mutter aufzudecken, ist angesichts vieler anders verlaufender Prozesse Anerkennung angemessen.
Skandal im Dorf
Schon lange waberten im Dorf Gerüchte, ehe es Gegenstand eines landesweiten Medienrummels wurde: Eltern hatten ihre Tochter über Jahre eingesperrt. Niemand konnte abstreiten, dass sie ihre Tochter geliebt haben. Sollte sie das nun entbehren?
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Geschwisterleben als Trainingslager fürs Leben
Selbst unter so außergewöhnlich schwierigen Bedingungen wie bei Jacqueline und Ben in der Geschichte „Skandal im Dorf“ gilt: Geschwister sind von Beginn an dabei und prägen einander ein Leben lang, sie sind Fürsorger und Rivale, Komplize und Gegner. Intensive Nähe wechselt mit lautstarker Ablehnung, Eintracht mit Kleinkrieg um Spielzeug, elterliche Zuwendung (und später eventuell auch um Erbe.) Hier erproben Kinder Emotionen, Geduld, Frustrationstoleranz, Durchsetzung, Verhandlungsgeschick. Hier lernen sie (meist eher als Einzelkinder), die Emotionen anderer zu erkennen und Konflikte verbal zu lösen, und zwar umso besser, je mehr das Ganze von liebevollen und fürsorglichen Eltern begleitet wird. Deshalb spricht man oft vom Geschwisterleben als erster Beziehungswerkstatt oder als sozialem Labor oder als Trainingslager fürs Leben. Weniger romantisch: Man lernt sich kennen in ungeschönter Rohfassung.
Oft wird der Geburtsreihenfolge viel Bedeutung zugeschrieben. Ist es wichtig, ob man zuerst geboren ist oder später? Zwar gibt es Studien, wonach Erstgeborene oft gewissenhafter, leistungsorientierter und überhaupt kontrollierter sind. Es soll eine Rolle spielen, dass sie früh zuverlässig und verantwortungsbewusst handeln müssen bei der Betreuung jüngerer Geschwister.
Zweit- und Drittgeborene sind nach diesen Studien kreativer und sozial flexibler, nachdem sie geübt darin sind, sich mit diversen Mitteln in der Familie Platz und Geltung zu verschaffen.
Mittel der Diplomatie sollen vor allem bei den sogenannten Sandwich-Kindern ausgeprägt sein, weil sie zwischen den Fronten bestehen mussten und oft unterlegen waren. Aber wie so oft in der Forschung haben andere Studien diese Ergebnisse abgeschwächt.
Richtig ist, dass Geschwister mit unterschiedlichem Alter nicht ganz die gleichen Eltern erleben. Eltern werden mit jedem Kind gezwungen dazuzulernen – so oder so.
Im Erwachsenenalter stabile Geschwisterbeziehungen zu haben, schafft psychisches Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit. Sie sind meist von diskreter Vertrautheit und gedämpfter, sichern aber Unterstützung und mindern die Gefahr der Einsamkeit. Und umgekehrt haben sie eine zuweilen nützliche Besonderheit: die Beziehung kann unterbrochen oder sogar beendet werden – ohne allerdings die sozialen Prägeerlebnisse für die eigene Persönlichkeit annullieren zu können.
Heilung oder Irrtum? Oder: Narziss in der Gondel
Psychischer und finanzieller Ruin sowie ein gestresstes Kind halten die Eltern nicht davon ab, das jahrelange hassvolle Prozessieren fortzusetzen und weiterhin Ämter, Gerichte und auch Gutachter zu beschäftigen und zu beschimpfen.
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Wer ist ein Narzisst und warum?
Knut Oeser ist schon ein kerniger Vertreter der Spezies Narzisst. Wie er sich selbst die Verbindung zu seiner Tochter Magdalena zerstört und seine Ex-Frau malträtiert, entspricht allem Wissen über Narzissten.
So offensichtlich dieses Verhalten ist, so widersprüchlich und kompliziert ist der Hintergrund. Die Kerneigenschaften sichtbaren narzisstischen Verhaltens sind schnell benannt (s. Abbildung).
Eigenschafen von Narzissten
Daraus lässt sich leicht ableiten, was Narzissten gar nicht vertragen: mangelnde Aufmerksamkeit, Kritik, nicht im Mittelpunkt stehen, Versuche, sie zu durchschauen oder ihnen Grenzen zu setzen. Und was sie fürchten, ist echte Nähe.
Ihrem Bestreben werden auch positive Effekte zugeschrieben, z. B. erhöhte Orientierung auf Leistung im Beruf oder im Sport.
Das alles ist aber nur die Oberfläche. Dahinter steht ein komplexes Gefüge, das auf den ersten Blick widersinnig erscheint: Ein labiles Selbstwertgefühl und ein Mix aus
emotionalem Vakuum, Bedrohungserleben, Selbstschutz und Streben nach Macht. Diese Widersprüchlichkeit setzt sich fort im Sozialverhalten. Die Mischung aus Arroganz, Charme, übermäßiger Kränkbarkeit, Charisma und Feindseligkeit nach angenommener Demütigung wird nicht nur als nervig und schwierig, sondern – je nach Situation – auch als interessant, souverän oder charmant wahrgenommen.
Auf Dauer sind allerdings die Folgen für Partnerschaft, Familie, Betriebsklima, Vereinsleben oder Nachbarschaft und auch für den Narzissten selbst extrem nachteilig. Dazu trägt bei, dass das Krankheitsbild meist chronisch verläuft. Neben psychologischen Ursachen sind erbliche, manchmal auch hirnorganische Ursachen beteiligt. Das erschwert therapeutische Zugriffe. Deren Erfolgswahrscheinlichkeit wird überwiegend als gering eingeschätzt.
Besonders schwierig wird es, wenn Narzissmus verbunden ist mit antisozialen Tendenzen, insbesondere mit einer antisozialen Persönlichkeitsstörung. Dann bestehen Bezüge zu Gewalt, Amok und ausagiertem Fanatismus.
Allerdings muss man all das unterscheiden von selbstverliebter Angeberei, egoistischer Durchsetzung, Verehrung des Scheins und rigorosen Streben nach Rekorden im Alltag. Sie haben nichts zu tun mit dem pathologischen Narzissmus. Schließlich war Narziss – der Namensgeber für dieses Verhalten – nur ein ungebremst selbstverliebter Jüngling in der griechischen Mythologie, der sich so sehr in sein eigenes Spiegelbild im Wasser einer Quelle verliebte, dass er den Blick nicht abwenden konnte bis er starb – eine wahrhaft tragische Figur.